Sexismus in Männerräumen

Sexismus floriert besonders da, wo Männer unter sich sind.

Julian Sorgo

Erschienen in: Ausgabe 02-2022
Rubriken: Sexismus

Sexismus in Männerräumen 

Wenn Männer[1] unter sich sind, ändern sich die sozialen Regeln und das Verhalten. Manchmal nur subtil und für die Beteiligten schwer wahrnehmbar, manchmal aber auch vollkommen offensichtlich. Die Umgangsformen und Gesprächsthemen verändern sich, die Grenzen des Sagbaren verschieben sich. Sexismus und andere Scheußlichkeiten können hier offener ausgedrückt werden. Diese Männerräume, also Kontexte jeglicher Form und Dauer, in denen Männer nur mit Männern interagieren, sind oft sichere Refugien des Patriarchats. Sie bieten die Möglichkeit der Selbstversicherung männlicher Identität und eines sexistischen Konsens. Ungestört durch FLINTA[2]bieten sie Spielräume für sexistische Witze, misogyne Kommentare und männliche Markierungen.

Männerräume spielen eine wichtige Rolle für die Reproduktion des Patriarchats. Hier kann über FLINTA geredet werden. In Form klarer sexistischer Abwertungen, mit Witzen, durch Pauschalisierungen. Gleichzeitig zeichnen sich Männerräume auch dadurch aus, wie über FLINTA nicht gesprochen wird, wie sie als wichtige Bezugspersonen und wertgeschätzte individuelle Menschen darin nicht vorkommen. Neben dem Sexismus, welcher in solchen Situationen oft hervorbricht, sind auch die Themen oftmals spezifisch männliche. Sei es das Klischeethema Sport, „derbe“ Witze, technische Spielereien oder – ganz speziell in linken Kontexten – Politik.

Sicherlich sind nicht alle Situationen, in denen Männer unter Männern sind, in dieser Form von Sexismus geprägt. In meiner eigenen Erfahrung als Mann bin ich aber immer wieder davon überrascht, wie plötzlich diese Situationen entstehen können und wie stark ihre patriarchale und sexistische Dynamik wirkt. Das kann eine zufällige Begegnung im Bus sein, ein Gespräch mit dem Onkel oder eine spätabendliche Runde mit Freunden. Genauso die Pause mit Arbeitskollegen oder ein Treffen mit dem Yogalehrer. Sexismus wirkt in diesen Situationen als verbindendes Element zwischen Männern. Er ist oft verknüpft mit dem Versuch, Nähe oder Bezug zu einander herzustellen. Wenn der eigene Vater unter vier Augen eine sexistische Anspielung darüber macht, wie „jung und scharf“ die neue Sekretärin vom Chef ist, dann ist das Beziehungsarbeit unter Männern, zwischen Vater und Sohn. Ich bin selbst immer wieder irritiert davon, wie oft Männer, denen ich begegne, versuchen über Sexismus zu bonden.

  

Linke Männer

Auch für Männer, die für Sexismus sensibilisiert sind, sind solche Situationen nicht eindeutig zu navigieren. Oftmals fällt es leichter sich nicht zu positionieren, keine Stellung zu beziehen und ein Auge zuzudrücken. Das kann am vorhandenen Druck in Männerrunden und Männerfreundschaften liegen, weil der (oft auch nur subtile) Sexismus der Versicherung der Gruppenidentität dient. Mitmachen bedeutet dazu zu gehören. Es kann auch sein, dass eine eigene Positionierung gegen Sexismus ein gewisses Risiko darstellt, wenn es beispielsweise gegen den Chef oder den angesehenen Theorie-Checker in der Politgruppe geht.

Außerdem fehlt durch die Abwesenheit von FLINTA die moralische Instanz, die das eigene schlechte Gewissen dazu bringen könnte, sich doch antisexistisch zu positionieren. Vielleicht fehlt auch die Aussicht auf Fame für das eigene politisch korrekte Verhalten, da niemand anwesend ist, um diese Heldentat eines „reflektierten“ Mannes zu beobachten und zu belohnen. Der Druck, in solchen Situationen antisexistisch einzuschreiten und der persönliche Benefit dadurch, ist eher gering. Ich kenne diese Abwägung von mir selbst, wenn ich in der Männerrunde am Arbeitsplatz nur ruhig daneben stehe, ohne Widerspruch einzulegen, oder zu dem sexistischen Kommentar meines Vaters nichts sage, um das Verhältnis nicht zu belasten. Als Mann kann man sich das leisten, schließlich ist man nicht betroffen.

Auch bei Männern, welche sich selbst als profeministisch verorten, ändern sich oftmals die Grenzen dessen, was sagbar ist, wenn nur Männer zuhören. Sie stimmen vielleicht sogar selbst in sexistisches Gerede und homofeindliche Anspielungen ein, oder erlauben sich ein verschmitztes Grinsen bei Witzen, die sie sich selbst nicht mehr auszusprechen trauen. In linkspolitischen oder „reflektierteren“ Männerräumen mag Sexismus weniger offen auftreten, doch auch hier können Dinge ausgesprochen werden, die vor FLINTA nicht sagbar wären.

Das ist insofern schlüssig, als die eigene patriarchale Prägung auch durch persönliche Reflexion und Bekenntnis zum Feminismus nicht einfach verschwindet. Von Mann zu Mann unterschiedlich stark ist doch in jedem ein Sexist zu finden, der unter den passenden Bedingungen zum Vorschein kommt. Das erlebe ich auch bei mir, wenn in Verbindung mit Alkohol, emotionalem Frust oder anderen Belastungen die eigenen antisexistischen Überzeugungen relativiert werden und so Überlegungen und Aussagen ihren Ausdruck finden, die ich niemals vor FLINTA sagen würde – allein schon aus Angst davor, als Sexist dazustehen. In Männerräumen ist Platz dafür.

  

Orte der Intervention

Profeministische Männer fragen oft nach Anleitungen und Hinweisen, wann und wie sie nach Außen antisexistisch und profeministisch intervenieren können, ohne sich selbst zu sehr ins Rampenlicht zu stellen oder FLINTA ihre Handlungsfähigkeit zu nehmen. Die beschriebenen Männerräume sind wichtige Orte der Intervention, wo das Risiko für beides gering ist. Männer sollten sich in Beziehungen zu anderen Männern antisexistisch positionieren und aktiv agieren: Im Gespräch mit dem besten Freund, in der Sportgruppe, mit den Kollegen, mit den Antifa-Friends, in der Familie mit Bruder und Vater, beim Bier im Männerfreundeskreis, mit den Genossen aus der Politgruppe. Sei es in zufälligen Begegnungen mit Fremden, bei der Familienfeier beim Scherzen mit dem Onkel oder im vertrauten Gespräch mit dem besten Freund. Ob sexistische Witze, misogyne Aussagen oder auch vermeintlich nett gemeinte Pauschalisierungen und Stereotype: Sexismus in all seinen Formen sollte, wenn immer möglich, aktiv angesprochen und mit Ablehnung konfrontiert werden.

Das geht über unmittelbare Äußerungen hinaus und betrifft auch das Verhalten außerhalb von Männerräumen, beispielsweise den alltäglichen Umgang von Männern mit FLINTA, ihre Aufmerksamkeit für Reproduktionsarbeit oder ihr Flirtverhalten. Besonders wenn es um befreundete Männer geht, ergibt sich vieles, worüber es sich in der Männerrunde kritisch zu reden lohnt: Wenn der beste Freund in seiner Liebesbeziehung patriarchales Verhalten zeigt und seine Partnerin nie ausreden lässt, ihre Bedürfnisse ignoriert und sich nicht für ihre Themen interessiert. Wenn er davon erzählt, wie sehr es ihn nervt, dass seine Partnerin beim Sex unsicher wirkt. Wenn der Bruder zum Essen einlädt und seine Freundin dabei wie eine Kellnerin behandelt. Wenn Typen allen die Welt erklären und gleichzeitig niemandem zuhören. Wenn Freunde nach drei Bier ihr Verhalten ändern und aufdringlich und unsensibel werden und FLINTA mit Monologen über politische Theorie zutexten. Wenn sie feiern gehen, mit dem Ziel jemanden abzuschleppen. Wenn sie aggressiv flirten und Grenzen missachten, Druck ausüben, nur um jemanden ins Bett zu bekommen.

Wahrscheinlich jeder Mann hat sich sexuell übergriffig verhalten und wird es wieder tun. Grenzüberschreitungen, Übergriffe und sexuelle Gewalt durch Männer finden extrem häufig statt. Es ist wichtig, dieses Verhalten schon in den ersten Zügen bei Freunden zu benennen und zu kritisieren, nicht erst wenn die Situation von FLINTA problematisiert wird. Sich klar zu positionieren bei Übergriffen, auch wenn es um den besten Freund geht, ist Mindestmaß einer profeministischen Haltung als Mann. Doch schon davor ist es sinnvoll, sich gemeinsam mit anderen Männern mit Flirtverhalten, Umgang beim Sex, Grenzen und Bedürfnisse von Anderen, Konsens, Verhütung etc. zu beschäftigen. Das bedeutet, als Mann zu einem gewissen Grad Verantwortung für das sexistische Verhalten anderer Männer im Umfeld zu übernehmen, Aufmerksam zu bleiben, die Auseinandersetzung zu suchen und schwierige Themen und Gespräche nicht zu meiden.

 

Männerräume feministisch prägen

Die Auseinandersetzung mit Sexismus in Männerräumen muss nicht nur bedeuten, als „reflektierter“ Mann und moralische Instanz aufzutreten und immer nur andere auf ihr sexistisches Verhalten hinzuweisen. Sie kann die Möglichkeit bieten, in einen Dialog über eigene und gemeinsame Sexismen zu kommen und zusammen Strategien für weniger beschissenes Verhalten zu entwickeln. Zusätzlich kann dieser Prozess auch den Beziehungen zwischen Männern eine neue Qualität verleihen.

Dies hängt auch von der eigenen Rolle in diesen Kontexten ab: Im Gespräch mit dem eigenen Vater kann es möglich sein, Verhaltensmuster in Familienbeziehungen zu reflektieren und so feministische Positionen stark zu machen. In der Pause mit den neuen Arbeitskollegen kann man in wertschätzender Weise über FLINTA-Bezugspersonen sprechen. Mit guten Freunden funktioniert vielleicht sogar ein regelmäßiger wohlwollend-kritischer Austausch zu eigenen Verhaltensweisen. In vielen Männerräumen ist es möglich, feministische Themen und Perspektiven einzubringen, sei es beim Gespräch über Literatur, Musik oder Film, oder einfach in der Frage zur Sitzposition in der U-Bahn und dem Stehplatz beim Konzert.

Wenn Männer die Situationen, die sie mit anderen Männern erleben, bewusst mit antisexistischen und feministischen Positionen prägen, entlasten Sie FLINTA, welche sonst meist gezwungen sind, diese Arbeit zu übernehmen und sich mit Männern und ihrem nervigen, mühsamen und beschissenen Verhalten auseinanderzusetzen. Männerräumen kann ihre Funktion als Safe-Spaces des Patriarchats genommen werden, wenn von den Beteiligten eine antisexistische Auseinandersetzung immer wieder eingefordert wird.

 


[1] Männer meint in diesem Text in erster Linie cis Männer. Offen bleibt, inwieweit oder auf welche Weisen trans* Männer Teil der hier thematisierten patriarchalen Konstellation sind.

[2] Frauen, Lesben, Inter* , Non-Binary, Trans* und Agender