Konsens

Wie geht Konsens und wie können wir Konsens lernen?

Joris Kern

Erschienen in: Ausgabe 02-2022
Rubriken: Sex & Flirten

Konsens lernen

Wenn du als Mann diesen Text liest, gehe ich davon aus, dass du nicht einer von denen bist, die Flirten als Beutezug sehen und Sex als Wettkampf, sondern dass du ein Interesse daran hast, deinem Gegenüber mit Respekt zu begegnen. Sonst müsste ich ganz woanders anfangen.

Ich nehme an, du bist schon auf dem Weg, Dinge zu ändern und deine Sozialisation zu hinterfragen. Wo dein Anfangspunkt war, weiß ich natürlich nicht und deswegen kann ich auch mit meinem Text nur ins Blaue hineinschreiben. Was dir nützlich erscheint, nimm mit. Was du Quatsch findest oder dir im Moment nichts bringt, lass stehen. Was du ergänzen möchtest, ergänz für dich, mit Freund*innen oder in einem neuen Text!

 

Es geht um konsensuelle Sexualität. Ist das nicht dieser anstrengende neue Anspruch mit ganz vielen Regeln und furchtbar viel Reden, den gute Männer drauf haben müssen um keine bösen Macker zu sein?

In meiner Rolle als Workshopleitung zum  Thema sexueller Konsens/ konsensuelle Sexualität für Jugendliche oder Erwachsene ist das ein Bild, was mir in verschiedenen Varianten immer wieder begegnet.

 

Ich würde es anders formulieren: Konsens ist das Ding, wo alle Spaß haben und alles freiwillig ist, wo alle sich mal so richtig entspannen können und wo man mit sich und dem Gegenüber in gutem Kontakt ist.

 

Reden ist `ne feine Sache

 Verbalisieren ist davon natürlich ein Baustein. Wenn man über Sex, Gefühle und Bedürfnisse reden kann, ist das eine feine Sache. Dann kann man sich nämlich mitteilen und das Gegenüber weiß woran er*sie ist. Wenn man Glück hat, kriegt man dann sogar eine ehrliche Reaktion mit der man etwas anfangen kann und selber mehr Klarheit hat. Die meisten Leute haben das aber nicht gelernt und deshalb fühlt sich dieses ganze Gerede erstmal krampfig an. Ich erinnere mich an stundenlange Hirnknoten und Suchen nach guten Worten und vorsichtigem Andeuten. Da hab ich mir doch sehr gewünscht, es würde „einfach so“ klappen und schön sein. So hatte es schließlich die Bravo versprochen!

Reden üben hilft. Mit Freund*innen, Liebesbeziehungen, One Night Stands, allein vor dem Spiegel, abends im Bett und beim Autofahren.

Dabei geht es darum, Worte und Formulierungen auszuprobieren und über seine Gefühle reden zu üben. Netter Nebeneffekt: Beim Reden fallen einem Dinge auf, über die man noch nicht nachgedacht hat oder seine Gefühle noch nicht sortiert hat und deshalb nicht weiß, wie man es ausdrücken soll. Diese Leerstellen kann man sich bei der Gelegenheit gleich mal angucken.

 

Die gute Nachricht: Man muss das mit dem Reden nicht perfekt draufhaben, damit Konsens funktioniert. Sexueller Konsens (also Einvernehmlichkeit) heißt eigentlich nur, dass alle Beteiligten freiwillig und gern bei der Sache sind. Freiwillig ist etwas natürlich nur dann, wenn es mindestens eine andere genauso akzeptierte Option gibt.

 

Opt-In – Opt-Out?

 Bei der vorherrschenden linearen Vorstellung von Sex ist es so: Es wird geguckt, geflirtet, geknuscht, gefummelt und dann gevögelt. Da muss eine Person irgendwann Stopp sagen, damit es nicht „automatisch“ weiter geht, und dieses Stopp ist dann auch oft damit verbunden, als komisch angesehen zu werden, jemand Anderem den Spaß verdorben zu haben oder Ängste zu haben, nicht gut genug zu sein. Für Frauen gibt es außerdem noch das Schlampenstigma: Einerseits darf sie nicht „leicht zu haben“ sein, andererseits auch nicht „gemein“; also einen Mann zu sehr erregen und dann nicht „zu Ende bringen“, was sie angefangen hat.

In der IT-Welt würde man diese Vorstellung von Sex ein Opt-Out-Setting nennen: Dinge passieren, solange nicht explizit widersprochen wird.

Konsens bedeutet hingegen, Opt-In-Settings zu schaffen. Wozu es keine freiwillige Zustimmung gibt, passiert nicht und Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden. Jeder weitere Schritt ist ein Angebot ohne Druck.

Auf welche Art DU dazu beiträgst, aus Kontakt, Flirten und Sex Opt-In-Settings zu machen, liegt an dir und hat damit zu tun, wer du bist und was sich für dich gut anfühlt. Egal, wie du flirtest oder Sex hast, kannst du da regelmäßig hinfühlen: Fühlt sich das hier nach Opt-In oder Opt-out an? Welche Veränderung könnte (wieder) ein Opt-In-Setting daraus machen?

 

Im Folgenden kommen verschiedene Vorschläge, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

 

Man kann kommunizieren, dass man mit einem Nein klar kommt, z.B. in dem man verschiedene Optionen vorschlägt oder seine Wünsche transparent macht, aber die Entscheidung bei der anderen Person lässt. „Ich hab Lust, noch mehr mit dir zu machen, ich könnte mir A oder B vorstellen, wie ist es bei dir?“ „ Ich hab große Lust dich zu küssen, darf ich?“ „gefällt dir so… oder so… besser?“

Dazu gehört natürlich eine Haltung, die Neins und Ablehnung als wichtigen Teil einer ehrlichen Aushandlung wertschätzt, die zu einer richtig guten Begegnung oder Verbindung beitragen kann oder eben frühzeitig klärt, dass es nicht passt. Das ist leichter geschrieben als getan, ich weiß! Wir haben alle Angst vor Zurückweisung. Sich im Alltag für Neins bedanken, übt. Sich bei emotionalen Verletzungen gut um sich zu kümmern, auch. Diese Haltung strahlt aus und zieht gute Leute an.

 

Man kann mit gutem Beispiel voran gehen und frühzeitig selbst undramatisch zu etwas Nein sagen oder eine Pause machen. Das gibt der anderen Person das Signal, dass das selbstverständlich und erwünscht ist.

„Ah, warte, ich will doch kein Bier mehr, bring mir lieber eine Limo mit“,„Jetzt weiß ich grad nichts zu sagen.“ „Darüber muss ich erst nachdenken“, „Ich fühl mal hin, warte“, „Das ist voll schön, aber jetzt brauch ich mal kurz eine Pause“, „ah, hier bin ich kitzelig, lieber nicht“, „das mag ich nicht so gern, magst du vielleicht lieber so?“

 

Man kann ausdrücklich sagen, dass man möchte, dass man selbst und die andere(n), jederzeit sagen können was sie sich wünschen und was sie nicht mögen oder sogar gemeinsam „Regeln“ aufstellen.

 

Man kann von sich sprechen und sagen, wie und wann man gefragt werden will und die andere(n) einladen, das auch zu tun.

 

Man kann jemandem eine „Gebrauchsanweisung“ geben und selbst danach fragen: „Manchmal brauch ich Pausen, um mit dem Fühlen hinterher zu kommen.“, „Manchmal werd ich still. Das ist meistens, wenn ich nicht weiß, was ich will, aber ich merke es manchmal nicht so schnell. Dann freue ich mich, wenn du nachfragst“. „Wie möchtest du gefragt werden, was du magst?“ „Gibt es bei dir Zeichen, dass du dich nicht mehr wohlfühlst, auf die ich achten soll?“

 

Es gibt tausend kleine Dinge, mit denen man zeigen kann, dass einem ehrlich am Wohlergehen der anderen Person gelegen ist, selbst wenn die Person völlig fremd ist.

Zeigen, dass man gut bei sich ist und auch Unsicherheiten aushält, gehört auch dazu: „Ich finde die Lautstärke hier grad anstrengend, aber ich hab Lust, mich mit dir weiter zu unterhalten“. „ich finds voll schön mit dir und überlege, ob ich dich noch zu mir einladen soll. Ich bin aber ein bisschen unsicher, ob mir das dann vielleicht zu viel ist. Wie geht es dir damit?“

Dir fallen sicherlich auch Sachen ein, auf die ich gar nicht komme. Was passt zu dir?

 

Und was brauchst du?

 In meine Workshops zu Konsens kommen Männer tendenziell, weil sie lernen wollen, „es“ richtig zu machen und nicht übergriffig zu sein. Das freut mich, aber es ist natürlich nur der halbe Spaß. Denn auch Männer sind fühlende Wesen, die beim Flirten und beim Sex über ihre Grenzen gehen oder über deren Grenzen gegangen wird. Da gibt es ja zum Beispiel diese verbreitete heterosexuelle Vorstellung von aktiven und passiven Rollen. Männer wollen immer, können immer und wenn sie „gut im Bett“ und außerdem rücksichtsvoll sind, machen sie‘s auch ihrer Partnerin immer perfekt. Auf wen muss man also Rücksicht nehmen? Wen muss man nach Wünschen und Grenzen fragen? Männer nicht.

 

Fast alle Männer und viele Frauen und Non-Binaries aus meinen Workshops kennen aber das Gefühl, sich in der aktiven Rolle zu verlieren, Wünsche oder vermeintliche Wünsche zu erfüllen, aber dabei selbst nicht mehr zu merken, was sie eigentlich möchten. Auch aktive Sexpartner*innen können Pausen brauchen, die Lust oder emotionale Verbindung verlieren, Grenzen haben oder sich im Performance-Stress benutzt fühlen.

Und auch Männer können und dürfen passiv sein, zuerst kommen, Pausen brauchen, Grenzen formulieren, schüchtern sein oder nicht wissen, was sie wollen.

Wenn Männer verstehen, dass Konsens auch für sie da ist und nicht nur eine neue Form von „Rücksichtnahme“ bekommen Flirt- und Sexsituationen eine neue Dimension von Ebenbürtigkeit und Achtsamkeit. Damit meine ich nicht nur heterosexuelle Begegnungen. Gerade in Szenen, wo Männer Sex mit Männern haben, spielen Vorstellungen von Dauergeilheit und Respektlosigkeit gegenüber Grenzen leider oft eine große Rolle.

 

 

Stolperfallen

Vielleicht hast du das mit dem Reden schon voll drauf und stößt auf ein neues Problem:

Immer wieder berichten Teilnehmende in Workshops, dass sie selbst die „ganze Fragerei“ doof oder anstrengend finden oder dass Sexpartner*innen von ihnen sich dagegen wehren.

Die häufigsten Gründe dafür sind:

 

a) Fragen wird als besorgte Rücksichtnahme wahrgenommen. Dadurch entsteht ein Machtgefälle, in dem die meist weiblich sozialisierte Person sich nicht ernstgenommen und ebenbürtig fühlt.

 

Warum fragst du? Fragst du, weil du wissen willst, was der anderen Person Spaß macht und bist selbst gerade gut bei dir? Oder fragst du, weil du dir ein Feedback wünschst und unsicher bist? Fühlst du dich selbst gerade nicht so wohl und du möchtest, dass die andere Person die Führung übernimmt? Brauchst du mehr Kommunikation um dich wohl zu fühlen? Macht es dich an, von der anderen Person zu hören, was sie geil findet? Wie ist dein Tonfall und deine Mimik und Gestik? Fragst du besorgt? Hast du Angst, unbemerkt etwas falsch gemacht zu haben und hoffst auf Absolution?

Stell nicht nur eine Frage, sondern zeig dich, deine  Motivation und deine Gefühle dahinter. Vielleicht denkt die andere Person auch, dass du als Mann eh weißt, was du willst, selbstbewusst bist und dass du nur fragst, weil du in ihr ein potentielles Opfer siehst? Zeig dich als ganzer Mensch statt dich hinter einer korrekten Frage zu verstecken.

 

b) Fragen werden so gestellt, dass die Verantwortung auf die gefragte Person abgewälzt wird: „Was willst du?“, „Was soll ich machen?“. Die fragende Person versteckt sich hinter einer Dienstleistungsrolle, die gefragte Person soll für beide entscheiden.

 

Das ist im Prinzip eine Variante von a) und die Lösung ist: Mach dich transparent, stell dich zur Verfügung, take pride in your fears. Geh davon aus, dass die andere Person genauso unsicher ist wie du, und dich genau so geil findet, wie du sie/ ihn. Du bist kein Roboter. Nur durch Kontakt entsteht Nähe. Wer das gruselig findet ist in guter Gesellschaft und übt sich in Babyschritten ;)

 

c) Die gefragte Person ist nicht daran gewöhnt, auf ihre Gefühle und Bedürfnisse zu achten, fühlt sich überfordert oder in die Ecke gedrängt und reagiert eventuell barsch.

 

Atme. Sei lieb zu dir. Das hat nichts mit dir zu tun. Vielleicht kannst du erklären, dass Kommunikation für DICH wichtig ist um dich wohl zu fühlen. Vielleicht könnt ihr das Spannungsfeld zum Experimentierraum erklären?

 

d) Der gefragten Person fällt es schwer, bei sich und ihren*seinen Gefühlen zu bleiben oder von der Sprachebene dorthin zurück zu finden.

 

Sprechen über Sex kann man in nicht-sexuellen Situationen üben. Durch Gewöhnung wird es auch während dem Sex weniger energieaufwendig und ablenkend.

Man kann auch vor dem Sex Absprachen über nonverbale Kommunikation treffen und Sex nachbesprechen. Die Person, die nicht sprechen will, kann sich dann bemühen, ihre nonverbalen Signale während des Sex sehr klar zu machen, sodass die andere Person trotzdem weiß, woran sie ist.

 

Wenn Fragen für dich nicht nur politisch korrekte Rücksichtnahme ist, sondern du das brauchst, um dich sicher und wohl zu fühlen, ist es ein absolut legitimes Bedürfnis, auf die dein Gegenüber sich einstellen muss.

Wenn du allerdings damit leben kannst, von der anderen Person ausschließlich non-verbale Signale zu bekommen, du selbst aber gern verbal gefragt werden möchtest, ist es auch die Aufgabe der anderen Person, sich auf deine Regeln einzulassen.

 

Konsens ist für alle da. Viel Spaß!