Das Patriarchat abschaffen - der Wille zählt.

Wie schaffen wir das Patriarchat ab?

Ulla Wittenzellner

Erschienen in: Ausgabe 02-2022
Rubriken: Editorial

Das Patriarchat abschaffen – Der Wille zählt

 Wir wollen mit unserem Magazin einen Beitrag dazu leisten das Geschlechterverhältnis, das uns als gewaltvolle Herrschaftsstruktur entgegentritt, zu verändern. Aber wie geht das? Lässt sich eine sexistische, patriarchale Gesellschaft ändern, in dem sich Einzelne weniger sexistisch verhalten? Reicht das aus? Oder vergessen wir auch mit unserem Magazin vor lauter Selbstverbesserung die kollektive Dimension?

Wir prangern an, dass in Männlichkeitsidealen Stärke und Dominanz gefeiert, aber die emotionale Kompetenz einer Bratpfanne als ausreichender Skill verstanden wird. Wir drehen uns in unseren Artikeln viel um individuelle Männer und deren Verhalten, weil wir glauben, dass hier Veränderung notwendig ist. Aber: ändert das irgendwas am Patriarchat?

Zwei Eindrücke:

Letztes Jahr war ich, Ulla, in der Fotoausstellung „Masculinities: Liberation through Photography“ im Gropius Bau in Berlin. Zum Nachdenken gebracht hat mich eine gelungen aufgezeigte Diskrepanz: Im ersten Raum der Ausstellung hingen Fotos von Männern, die in vielem „typische“ Vorstellungen von Männlichkeit darstellten. Vor Stärke strotzende Bodybuilder, Männer in Unterhose mit geölten Muskeln, Männer mit Cowboyhüten und –stiefeln, lässig oder bei harter körperlicher Arbeit. In einem der letzten Räume waren Werke ausgestellt mit dem Titel Gentlemen. Ihre Fotos zeigen englische Privatclubs in London. Große nahezu leere Räume, in denen hier und da hutzelige, alte, krumme, weiße Männer zu sehen sind. Sie verkörpern nicht gerade Männlichkeit im Sinne von Stärke und Muskeln, was im ersten Raum zu sehen war. Und doch bilden diese Gentlemen das Zentrum der Macht. Dass Herrschaft komplex ist und nicht einfach nur nach einer Kategorie (z.B. Geschlecht) aufgelöst werden kann, ist klar. Die hier gezeigten Männer sind nicht nur Männer, sondern auch weiß, gehören der oberen Mittelschicht an usw. Trotzdem hat mir diese Gegenüberstellung die Frage aufgedrängt, welche Männlichkeiten wir in unserem Magazin eigentlich angreifen. Die muskulösen Bodybuilder im ersten Raum, die für mich stellvertretend für Klischeebilder von Maskulinität stehen? Oder die, die tatsächlich Kontrolle und Macht ausüben, obwohl sie gebrechlich und schwach wirken? Arbeiten wir uns nur an der Oberfläche ab (gegen das Körperstählen, laute Sprache usw.) oder untergräbt das Magazin auch irgendwie die Macht dieser Elitemänner?

 

Ein weiterer Eindruck: In J. J. Bolas Buch „Sei kein Mann – Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist“ beschreibt der Autor verschiedene Männlichkeitsperformances, mit denen er aufwächst. Die seiner kongolesischen Community einerseits und seiner direkten Nachbarschaft in Nord-London andererseits. Während es unter den Männern der kongolesischen Community ein Zeichen von „Brüderlichkeit, Freundschaft und Zuneigung“ (S.33) ist, Händchen zu halten, wird diese Geste von den Jugendlichen seiner Nachbarschaft als „schwul“ im Sinne von „unmännlich“ abgewertet.

Das heißt: Es gibt in bestimmten Communitys diese anderen Bilder von Männlichkeit, die Zärtlichkeit zwischen Männern erlauben. Bola beschreibt, wie er diese Performances (zunächst) ablegt, wie sie ihm unangenehm sind, wie die dominanzkulturelle Vorstellung von Männlichkeit die andere abzuwerten vermag, wie Männlichkeiten auch hier in Verschränkung mit anderen Zugehörigkeitsmarkern gedacht werden müssen und wie Männlichkeiten hierarchisch geordnet werden. Für mich macht Bolas Erzählung insbesondere die Frage auf: Trägt die (körperliche) Zärtlichkeit der Männer in der von ihm beschriebenen Community dazu bei, dass diese weniger patriarchal strukturiert ist? Ich kenne mich mit der Londoner kongolesischen Community nicht aus und kann darüber keinerlei Aussage treffen. Ich stelle mir die Frage auf unser Magazin bezogen. Wenn die Männer, die wir hier ansprechen, nun zärtlicher, emotionaler und mehr caring miteinander sind, führt das irgendwie zu mehr Gleichstellung?

Es wäre eine große Errungenschaft, wenn nicht alle Fürsorge- und Carearbeit bei Frauen und nicht-binären Personen allein läge. Und es würde den Männern in unserer Leser*innenschaft (und darüber hinaus vielleicht auch anderen) ein besseres Leben, mit besseren, bedeutsameren Beziehungen ermöglichen. Aber könnte das Ergebnis nicht auch nur stärkere Männerbünde sein? Was habe ich davon, wenn Männer mehr miteinander kuscheln?

Doch Patriarchale Strukturen sind nicht nur auf einer individuellen und zwischenmenschlichen Ebene wirksam. Wir müssen sie auch auf struktureller und institutioneller Ebene bekämpfen. Das Bild, dass sich (cis) Männer nur anders verhalten müssten, weniger dominant und emotionaler sein und damit sei das Patriarchat dann abgeschafft, stimmt nicht. Macht ausschließlich auf persönlicher Ebene zu verhandeln blendet systemische und strukturelle Bedingungen und Gewaltverhältnisse aus.

Wir brauchen neben dem veränderten individuellen Verhalten (pro)feministische kollektive Organisierung.

Veränderung lässt sich nicht allein herbeiführen. Was aber wäre eine kollektive, verbündete Arbeit gegen das Patriarchat für Männer? Sich engagieren im Care-Revolution Netzwerk vielleicht? Für besser Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte und Spargelstecher*innen eintreten? Für das Recht auf Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag kämpfen? Reproduktive Rechte global einfordern? Dafür streiten, dass Kindergeld endlich nicht mehr auf Hartz IV angerechnet wird? Oder aber für Klimagerechtigkeit eintreten, da auch hierunter verstärkt Frauen des globalen Südens leiden? Das sind alles fantastische Ideen, die auf eine viel allgemeinere politische Veränderung abzielen, auf Strukturen, die engmaschig mit dem Patriarchat verknüpft sind. Und doch sehe ich sie vor mir, die vielen politisch engagierten, belesenen und tatkräftigen cis Männer, denen ich in meinem politischen Engagement begegnet bin, und die dann doch jede junge Frau, die neu in die Gruppe kam, erstmal abgeschleppt haben…

Wir denken kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten, der eigenen Position ist wichtig. Dazu versuchen wir hier einen Anstoß zu geben. Uns geht es nicht darum, einen Katalog aufzustellen, wie nun das „richtige“ Verhalten geht. Denn das grundlegende, was es auf individueller Ebene baucht, ist nicht die „richtige“ Art zu sprechen (nicht unterbrechen, Raum lassen, nachfragen – auch wenn es klasse ist, wenn man das kann), auch nicht die „richtigen“ Codes (lackierte Fingernägel) und Theorien (Connell) im Gepäck haben, sondern ganz grundsätzlich den Willen zur Veränderung – wie bell hooks brillanter Titel schon sagt. Es braucht den Wunsch tatsächlich Macht abzugeben, eigene Bedürfnisse zurück zu stecken und den Willen, aktiv für Veränderung einzutreten. „To know love, men must be able to let go the will to dominate. They must be able to choose life over death. They must be willing to change.“ (S. xvii) Das heißt auch gegen das eigene Ego und gegen das eigene Bedürfnis mal den Platz räumen, für andere. Das heißt, den Status und das Ansehen, das zum Beispiel mit Geld, Karriere, aber auch politischem Aktivismus oder mit Wissen und Eloquenz einhergeht, und z.B. den Zugang zu Sex mit Frauen so sehr erleichtert, nicht auszunutzen. Es heißt auch, Schmerz und Sorge zu erleben, denn Privilegien abgeben ist nicht nur ein lustiger Prozess.

Drehen wir uns also zu sehr um das Individuum? Vielleicht. Und dennoch glauben wir, dass das Handeln der Einzelnen bedeutsam ist.

Gleichzeitig wissen wir: Das reicht nicht. Es braucht beides! Das andere individuelle Verhalten mit dem Willen zur Veränderung und die kollektiven Bewegungen gegen Patriarchat und Kapitalismus. Also: organisiert euch! Lasst uns gemeinsam dem Patriarchat ganz mies in den Rücken fallen.


bell hooks (2004): The Will to Change – Men, Maculinity, and Love, Washington Square Press, New York